Schatzwort

«Ich liebe, wie ihr in Deutsch die Wörter zusammenklebt», sagt meine welsche Freundin Anne. «So, wie für ein Bébé, das weint.» «Schreihals?», frage ich. «Nein», erklärt Anne: «Kleinlaut.» Ich lache schallend. «Das hast du gründlich missverstanden. Kleinlaut ist zum Beispiel ein Besserwisser, der nur noch ein bisschen murmelt, nachdem er von jemandem in den Senkel gestellt worden ist.» Anne ist verstimmt. «Du willst dich nur gross machen mit deinen tollen Wörtern, aber ich habe trotzdem verstanden. Kleinlaut ist Wortalchemie. Man mischt zwei banale, unpräzise Adjektive und transformiert sie in ein neues, einzigartiges Wort. Es ist sogar noch eine Geschichte darin versteckt. Jemand ist nur kleinlaut, wenn irgendetwas passiert ist, etwas mit ein bisschen Drama.» «Chapeau», denke ich, «das hat sie schön gesagt», und werde still.

Früher dachte ich, es heisse «sich verfransen». Ich sah einen Teppich, dessen ausgefranster Rand das Gewirr aus Wegen oder Worten symbolisiert, indem man sich letzten Endes verfranste.

Aber nicht die Fransen standen hier Pate, sondern der Franz. Onkel Franz.

«Ich glaube, hier…», «Da drüben müsste…», «Oh, hier kann man nicht ab…», sagte er, während er uns zu Museen oder Veranstaltungen in der Stadt chauffierte. Meine Tante wollte jemanden fragen, Franz wollte nicht.

«Ah, dort oben…», «Gleich sind wir…», «Oh, falsche Talseite…», sagte er, während ich ihm mit Blasen an den Fersen durchs Gebirge folgte. Meine Tante wollte jemanden fragen, «Ist nicht mehr weit», sagte Franz.

Ich weiss nicht, wo Onkel Franz heute ist. Vor Jahren rollte er den ausgefransten Stubenteppich meiner Tante zusammen und sagte: «Ich fahr den kurz zur Reparatur in die Stadt. Ist ja nicht weit.»

… klingt wie das freudige Wedeln eines Hundeschwanzes: spielerisch und voller Hingabe. Doch hinter der bodennahen Leichtigkeit verbirgt sich ein Wort mit Kraft, das mehr ist als eine alltägliche Geste. Wischen, Putzen, Reinigen – mit Schwung räumt es auf und lädt uns humorvoll ein, dem Chaos mit der Spielfreude eines Hundes zu begegnen.

Feudeln zeigt uns zudem: Das Banale ist nie banal. Wir feudeln, um Klarheit und Ordnung zu schaffen – nicht nur im Haushalt, sondern auch in uns selbst. Das Schwingen über Oberflächen wird zur Metapher für die Übergänge unseres Lebens: das Abtragen alter Geschichten und das Offenbaren neuer.

Feudeln fordert uns auf, den Boden unserer Menschlichkeit mit neuer Frische und Neugier zu betreten. Es ist ein Schatzwort, weil es uns auf charmante Weise daran erinnert, dass der Weg zu uns selbst oft mit einem Lappen in der Hand beginnt.